Dialog über „Welt in Gefahr“ in Lippstadt

Die Themen des vom in Lippstadt geborenen Literaturwissenschaftler Michael Göring im Stadttheater geleiteten Gesprächs „Welt in Gefahr“ mit dem ehemaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Wolfgang Ischinger, waren weit angelegt. Sie reichten vom Nahost-Konflikt über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der vom Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 verkündeten Zeitenwende bis zur im November in den Vereinigten Staaten anberaumten Präsidentschaftswahl.

Wolfgang Ischinger als Gast im Stadttheater  

Sein Buch „Welt in Gefahr“ mit einer persönlichen Widmung des Verfassers war nach dem Auftritt von Wolfgang Ischinger im Stadttheater bei vielen Besucherinnen und Besuchern gefragt.
Foto: Karl-Heinz Tiemann

Nahost

Zum Beginn des Interviews wurde die aktuelle militärische Konfrontation der vom Libanon operierenden Hisbollah-Miliz mit Israel erörtert. Dazu gehörten auch die anscheinend vom israelischen Mossad-Geheimdienst herbeiführten Pager-Explosionen in Beirut. Sie sind für den ehemaligen Vorsitzenden der Münchener Sicherheitskonferenz eine neue Art der Auseinandersetzung, wo Flugzeuge und Panzer an Bedeutung verlieren. Nach Einordnung des Ex-Botschafters in den USA könne sich der Konflikt der Regierung von Benjamin Netanjahu mit den Terrororganisationen Hamas und Hisbollah bis zur Bestimmung des nächsten US-Präsidenten hinziehen.

Ukraine

Mit Blick auf die Möglichkeiten der Verteidigung der Ukraine sprach sich der 78-Jährige für weitreichende westliche Raketen aus, damit das überfallene Land russische Militärbasen erreichen könne. Die Gefahr einer Nuklear-Reaktion aus Moskau sah er nicht. Für Kiew hänge viel davon ab, ob der jetzige US-Präsident Joe Biden die von der Ukraine erwarteten Waffen freigebe. Wolfgang Ischinger vermutet, dass der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj von einer Washingtoner Entscheidung vor den US-Wahlen ausgehe. Die vom Kreml verbreitete Behauptung, wonach Russland bei der Nato-Osterweiterung getäuscht worden sei, wies der Gast auf der Bühne des Lippstädter Musentempel vor dem Hintergrund seiner Mitwirkung bei den Verhandlungen für die in 1997 vereinbarte Russland-Nato-Grundakte zurück. Russland habe für die westliche Zusicherung, in den neuen Nato-Mitgliedsstaaten keine Nuklearwaffen und keine großen Kampfverbände zu stationieren, die Osterweiterung gebilligt. Da beide Zusagen des Westens bis in die Gegenwart eingehalten worden seien, könne von einem Betrug Russlands, wie es seine Propaganda streue, nicht die Rede sein.

Nato

Auch zur Person Wladimir Putin nahm der renommierte Sicherheitsexperte auf Nachfrage aus der Mitte des Publikums Stellung. Für Ischinger habe sich beim russischen Präsidenten durch den Irak-Krieg und weitere Missklänge zwischen seinem Land und den USA ein Wandel seiner Position zum Westen vollzogen. Deutlich geworden sei dies zum ersten Mal durch die Rede von Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar  2007, was damals von der westlichen Politik offenkundig nicht richtig ermessen worden sei.

Zeitenwende

Nach den Ausführungen des pensionierten Diplomaten werde die von Olaf Scholz infolge des russischen Einmarsches in das Nachbarland angezeigte Zeitenwende noch nicht vollends wahrgenommen. Für den früheren Mitarbeiter des verstorbenen Bundesministers Hans-Dietrich Genscher (1927-2016) ist die Unterstützung der Ukraine keine Benefizmaßnahme. Nicht nur die Existenz des von Russland angegriffenen Nachbarn sei gefährdet, sondern auch die eigene Sicherheit. Daher müsse der deutsche Verteidigungsetat jährlich über zwei Prozent vom Bruttoinhaltsprodukt betragen, damit die Deutschland in fünf bis sechs Jahren verteidigungsfähig sei. Wenige Wochen vor der Entscheidung in den USA und die Frage, ob es der Vizepräsidentin Kamala Harris gelingt, eine Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus zu verhindern, war auch der US-Wahlausgang ein Diskussionspunkt. Der einstige deutsche Vertreter in Washington geht von einem engen Rennen der beiden Aspiranten für das höchste Amt in den USA aus.

Hans Zaremba