Geschichte und Gegenwart

Die Wunden aus der kommunalen Neuordnung, die vor 50 Jahren zur Bildung des heutigen Kreises Soest mit der Einbuße des Kreissitzes in Lippstadt entstanden, scheinen in 2025 noch nicht gänzlich verheilt zu sein. Dies wurde am Dienstagabend deutlich, als im Nicolaiforum in der Regie des Hörfunkjournalisten Marco Zaremba aus Wadersloh ein öffentlicher Dialog zur Geschichte der Gebietsreform in 1975 mit Betrachtungen auf die gegenwärtige Situation stattfand.

Dialog über die Gebietsreform von 1975

Gestalteten den öffentlichen Dialog zur Gebietsneuordnung in der Region von Lippstadt im Jahr 1975:
Mit Wolfgang Marcus (links) und Wilfried Jäger nahmen zwei Zeitzeugen der Ereignisse vor fünf Jahrzehnten an dem Dialog im Nicolaiforum teil..
Foto: Hans-Joachim Danzebrink

Gute Reform

Wolfgang Marcus, einst Ortsvorsteher von Bad Westernkotten, zeigte dabei die wesentlichen Gründe für die Neugestaltung der Strukturen der Gemeinden, Städte und Kreise in Nordrhein-Westfalen auf. Vor den Umbildungen bestanden zwischen Rhein und Weser sechs Regierungsbezirke mit 38 kreisfreien Städten und 57 Landkreisen. Zu ihnen gehörten 294 Ämter mit 1877 amtsangehörigen Gemeinden sowie 450 amtsfreie kreisangehörige Gemeinden. Nach Abschluss der in Düsseldorf verfügten Veränderungen am 1. Januar 1975 verblieben fünf Regierungsbezirke mit 23 kreisfreien Städten und 31 Landkreisen mit insgesamt 396 Kommunen. Der pensionierte Lehrer des Evangelischen Gymnasiums in Lippstadt bezeichnete die speziell in den kleineren Gemeinden von vielen Aufregungen begleiteten Schritte als eine „gute Reform“. Sie eröffneten den Gebietskörperschaften vor allem bessere Bedingungen für eine sinnvollere Raumplanung, was der frühere Erwitter Ratsherr vor dem Hintergrund seiner Heimatstadt mit den dortigen 15 Ortschaften erklärte. Ebenso schaute der zweite Zeitzeuge der Ereignisse in 1975, der Anröchter Wilfried Jäger, ehemaliger Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, auf die Gemütsbewegungen, die vor fünf Jahrzehnten durch den Wegfall verschiedener Gemeinden hochkamen. In Anröchte habe er als junges Ratsmitglied in den ersten Jahren nach der Reform verstärkt „Fronten zwischen den Dörfern und dem Zentralort registriert“, die es zu überwinden galt. Die Umgestaltung war für den Ex-Lehrer der Lippstädter Marienschule die schlüssige „Antwort auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der damaligen Zeit“, zu denen unter anderem das Ende der in 1960er Jahren noch verstärkt in den Bauernschaften befindlichen Zwergschulen zählten. Nach seiner Einordnung habe man im Lippstädter Kreishaus nicht rechtzeitig genug auf die vom Land eingeleiteten Schritte reagiert, die schließlich das Aus der Kreisstadt Lippstadt ausgelöst haben. 

Verlust des Kreissitzes

Die Einbuße des seit 1817 in den Gemäuern von Lippstadt bestehenden Kreissitzes mit der Gründung des Großkreises Soest nannte der Kommunalpolitiker Hans Zaremba als „schmerzlichen Verlust“. In der Folge seien aus der größten Stadt im Kreisgebiet weitere bedeutende Institutionen abgewandert. So die Kreisstelle der Landwirtschaftskammer und die Schule für den bäuerlichen Berufsstand. Zudem berichtete der Sozialdemokrat über die Möglichkeiten, die Lippstadt nach der Neuordnung mit der Einstufung als größere kreisangehörige Stadt eröffnet wurden. Dazu stellte er das in 1995 geschaffene und zuvor lange von CDU und FDP im Verbund mit der damaligen Verwaltungsspitze im Stadthaus abgelehnte Stadtjugendamt heraus. „Alles, was in Lippstadt danach in der Sozialpolitik entfaltet wurde, wäre in der Verantwortung des fernen Soester Kreishauses nicht möglich gewesen“, sagte er mit Blick auf die Zentren „Mikado“ und „Treff am Park“ sowie die landesweit vorzeigbaren Quoten für die Betreuung von Kindern in den Tagesstätten. Karl-Heinz Tiemann, vierter Podiumsteilnehmer, beleuchtete die seit der Gebietsreform vor fünf Jahrzehnten fortgeschrittene „Zerklüftung des Parteiensystems“. Während in Lippstadt nach der Kommunalwahl im Mai 1975 mit der CDU, SPD und FDP im Rat lediglich drei Fraktionen vertreten waren, besteht er heute aus sieben Gruppierungen. Für die Bildung von Mehrheiten bei umstrittenen Projekten „keine einfachen Voraussetzungen“, meinte der sachkündige Bürger im städtischen Umwelt-, Bau und Mobilitätsausschuss.

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