Deutliche Empfehlung: Mehr Koalition wagen

Blick auf die Halbzeitbilanz der Ampel-Regierung von Hans Zaremba

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen am Sonntag, 9. Oktober 2023, sind zweifellos eine Abrechnung mit der Ampel-Regierung in Berlin. Gewiss ist das Resultat in Bayern von nicht einmal acht Prozent für die SPD katastrophal, auch wenn bei früheren Wahlen für sie dort nicht viel mehr zu holen war. Weitaus stärker schmerzt die SPD aber ihr Debakel in Hessen. In ihrem einstigen Stammland unterbot die SPD noch einmal ihren eigenen Negativrekord von 2018. Allemal haben die fortgesetzten öffentlichen Streitereien der Koalition im Bund von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und die nicht hinreichende Kommunikation ihrer Politik neben dem Migrations-Thema ihre Folgen auf die Ausgänge der bayerischen und hessischen Wahlen mit dem erschreckenden Emporschnellen der Rechtspopulisten gehabt.   

Lippstadt am Montag, 20. September 2021:
Momentaufnahme vom SPD-Sportdialog während des Wahlkampfes mit der damaligen Vorsitzenden des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag (Iserlohn), und dem heimischen Parlamentarier Wolfgang Hellmich in der Lounge des SV Lippstadt 08.
Archiv-Foto: Karl-Heinz Tiemann

Gute Noten

Vor diesem Hintergrund erfolgt in der Ausgabe 10/11 aus 2023 der Publikation Rote Lippe Rose ein Blick auf die Halbzeitbilanz des von Olaf Scholz (SPD) als Kanzler repräsentierten Bundeskabinetts. Angesichts der zuvor beschriebenen heftigen Wahlschlappen der Ampel-Parteien in Wiesbaden und München fällt eine im September 2023 zur Hälfte der gegenwärtigen Legislaturperiode des Bundestages vorgenommenen Analyse der Bertelsmann-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universität Trier und dem Progressiven Zentrum Berlin überraschend positiv aus. Demnach habe die aktuelle Bundesregierung 38 Prozent ihrer Versprechen aus dem Koalitionsvertrag bereits erfüllt. Zwölf Prozent befinden sich im Prozess der Erfüllung und 14 Prozent der Versprechen wurden angepackt. Trotz der eigentlich positiven Halbzeitbilanz stimmt die Zufriedenheit der deutschen Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Regierung nicht mit den Erfolgen der Koalition überein, was die bescheidenen obigen Wahlergebnisse für die Ampel-Koalition bekunden.

Münster am Freitag, 24. September 2021:
Der hier von Karl-Heinz Tiemann (links) und Olaf Scholz verbreitete Optimismus auf die zwei Tage später anberaumte Wahl des 20. Deutschen Bundestages sollte am Wahlabend mit dem Erfolg der SPD und dem Erreichen des ersten Ranges zutreffen.
Archiv-Foto: Büro Olaf Scholz (Berlin)

Mehr geschafft

„Im Vergleich zur Halbzeitbilanz ihrer Vorgängerregierung hat die Ampel mit 38 statt 53 Prozent bereits erfüllter Versprechen damit anteilig zwar weniger, aber mit 174 statt 154 erfüllten Versprechen in absoluten Zahlen gerechnet, sogar etwas mehr geschafft. Das gilt für die großen Reformprojekte der Regierung ebenso wie für die eher kleineren Regierungsvorhaben“, berichtet in der zitierten Untersuchung der Demokratie-Experte der Bertelsmann-Stiftung, Robert Vehrkamp. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung aus dem Jahr 2021 enthält insgesamt 453 „echte“ Regierungsversprechen. Als „echte“ Versprechen hat das Team der Forscherinnen und Forscher nur solche Vorhaben eingestuft, deren Erfüllung anhand klarer Kriterien nachprüfbar ist. Im Ampel-Vertrag sind das gut 50 Prozent mehr als die 296 Versprechen der Großen Koalition im Koalitionsvertrag von 2018. Gegenüber dem Koalitionsvertrag 2013 mit 188 Versprechen hat die Ampel sogar fast zweieinhalb Mal so viele Regierungsvorhaben vereinbart. „Die große Anzahl der Versprechen spiegelt zum einen die Komplexität der Ampel als einer lagerübergreifenden Koalition aus drei programmatisch eigenständigen Parteien, zum anderen aber auch das höhere Ambitionsniveau des Ampel-Vertrages, wider“, meint Theres Matthieß von der Universität Trier, Mitautorin der Studie.

Vertrauen ernten

Im Kontrast zum Ambitionsniveau und Umsetzungsstand ihres Koalitionsvertrages steht die Ampel nach dem Bertelsmann-Papier als „Streitkoalition“ dar. „Der öffentlich inszenierte Koalitionsstreit führt dazu, dass die tatsächliche Regierungsleistung und Umsetzungstreue unterschätzt wird. Deshalb braucht die Ampel einen Neustart in ihrer koalitionsinternen Zusammenarbeit und Selbstdarstellung“, sagt Wolfgang Schroeder vom Progressiven Zentrum. Gleichzeitig zeigen sich nach der Quelle dieses Beitrages nur jeweils etwa ein Viertel der Menschen in Deutschland mit der Arbeit von SPD (25 Prozent), BÜNDNIS 90/GRÜNE (23 Prozent) und FDP (22 Prozent) „sehr oder eher“ zufrieden. Mehr als sechs von zehn der Befragten sind dagegen „eher oder sehr“ unzufrieden mit der Darstellung der Regierungsparteien (SPD: 62, GRÜNE: 67 und FDP: 62 Prozent). „Auffällig ist dabei, wie wenig die meisten Menschen zwischen den drei Regierungsparteien differenzieren. Die Regierung werde nach Robert Vehrkamp als eine Einheit gesehen und beurteilt und ergänzt: „Nur wenn die Ampel mehr Koalition wagt, wird sie bei den Wählern auch das Vertrauen ernten, das ihre vielversprechende Halbzeitbilanz eigentlich verdient hätte.“